Die Sprache gehört dem Volk

Es begann vor mehr als 40 Jahren am schönen Bodensee: 1979 begründeten die beiden Sprachwissenschaftlerinnen Luise F. Pusch und Senta Trömel-Plötz als Professorinnen an der Universität Konstanz die deutschsprachige feministische Linguistik. Diese auf die Bürgerrechtsbewegung in den USA zurückgehende Disziplin hat sich, anders als die Sprachwissenschaft, die die Sprache als System zum Inhalt hat, auf die Untersuchung und die Kritik von Sprache und Sprachgebrauch anhand von soziologischen und politischen Kriterien spezialisiert. ...
... Der gesellschaftliche Wandel vom zuvor in den westlichen Ländern jahrhundertelang herrschenden Patriarchat zu einer Gesellschaft, in der Frauen und Männer gleichberechtigt waren, war in vollem Gange. „Einstweilen freue ich mich einfach nur, dass die feministische Sprachkritik, die in Deutschland seit Mitte der Siebzigerjahre aktiv ist, nach all den Kämpfen in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein scheint“ schreibt die 1944 geborene Luise Pusch (Pseudonym Judith Offenbach) in einem am 10. Februar 2018 in der „Zeit“ erschienenen Rückblick.
Die Wissenschaft weiß: Wenn sich die Gesellschaft und ihre Werte ändern, ändern sich auch Sprache und Sprachgebrauch. ... Dieser Wandel und die sich daraus ergebenden Sprachregeln führen bisweilen zu heftigen Diskussionen, wie etwa bei jeder Rechtschreibreform seit 1996 oder derzeit bei den Bemühungen um eine geschlechtergerechte Schreibweise im Deutschen, die besonders das generische Maskulinum im Fokus hat und landauf, landab die Gemüter bewegt. Das generische Maskulinum meint die verallgemeinernde männliche, weibliche Bezeichnungen vernachlässigende Wortform, die sich im Deutschen traditionell etabliert hat. Seit die feministische Linguistik dagegen Sturm läuft, haben sich GermanistInnen, Linguist/-innen, Verlage, Feminist(inn)en und jede Menge anderer Expert*innen oder Fachwissen Besitzende darüber schon die Finger wund geschrieben, und zwischen Befürwortern und Gegner fliegen inzwischen die Fetzen. Die Germanistin und Sprachwissenschaftlerin Susanne Günthner spricht im Zusammenhang mit Vorschlägen zur Sprachmodernisierung gar von einem „Minenfeld“. Kriegerisch erklingt es auch in den Sozialen Medien, wo man sich mit Wendungen wie „Gender-Schwachsinn“, „Schindluder an unserer Sprache“, „sprachlicher Unfug“, „Vergewaltigung des gesprochenen Wortes“ gegen die neuen Gender-Schreibweisen verwahrt.

Möglichkeiten und Vorschläge

Solch militanten Attacken lässt sich der Bericht des Rates für deutsche Rechtschreibung, unstrittig die zentrale Instanz in diesen Fragen, vom 18. November 2018 entgegenhalten, in dem verschiedene Möglichkeiten zur Umsetzung geschlechtergerechter Schreibung vorgeschlagen werden. Es geht also um Möglichkeiten und um Vorschläge, die zu erarbeiten sich „der Rat aufgrund von Anforderungen und Kritik verschiedener Gruppen von Schreibenden sowie auf der Basis des amtlichen Regelwerks und der Beobachtung von Sprachverhalten und Schreibgebrauch“ verpflichtet sah, wie es im Bericht heißt. Schon in seinem dritten Bericht zwei Jahre zuvor schreibt der Rat: ,,… neben der Schreibung mit (Schüler/-innen) und ohne Ergänzungsstrich (Schüler/innen) kommen auch u.a. Formen mit Binnen-I (SchülerInnen), Gendergap (Schüler_innen) oder Sternchen (Schüler*innen) vor. Sie stellen typographische Auszeichnungsschreibungen dar. Als solche liegen sie außerhalb der orthographischen Norm und sind daher nicht ,falsch‘ zu nennen.“

Der Duden hat dazu 2017 ein eigenes Werk herausgegeben: „Duden – richtig gendern“ (ISBN 978-3-411-91250-6 (E-Book), ISBN 978-3-411-74357-5), in dem diese sogenannten Sparschreibungen erläutert werden. Folgendes Fazit ziehen die Autorinnen daraus:
„Als Sparschreibungen können alle die genannten Lösungen … durchaus eine Überlegung wert sein – je nach Kontext können sie im informellen Rahmen eine unkomplizierte Hilfe darstellen.“ Eine offizielle Empfehlung geben die Autorinnen nicht ab, betonen aber: „… wer sich jedoch nicht im amtlichen Kontext bewegt, kann mit diesen kreativen Lösungen sicherlich etwas anfangen.“

Kreativer Umgang mit der Sprache

Keine Rede also von „Vergewaltigung“ oder „Schindluder an unserer Sprache“. Jeder und jedem, eben auch Medien und Verlagen, wird lediglich Spielraum für einen kreativen Umgang mit der Sprache zugestanden. Veröffentlichungen haben ja auch eine ökonomische Seite. Jedes Mal ausführlich „Ausstellerinnen und Aussteller“, „Teilnehmerinnen und Teilnehmer“ oder „Nachzüglerinnen und Nachzügler“ zu schreiben, ödet an und ist schlicht Platzverschwendung. Doch wer Wert darauf legt, dass sich alle Lesenden von dem Geschriebenen angesprochen fühlen, kann sich eben die Möglichkeit dieses kreativen Umgangs mit Sprache zunutze machen: Eine dieser „außerhalb der orthografischen Norm liegenden Auszeichnungsschreibungen“ zu verwenden ist keineswegs verboten und wird allenfalls von Deutschlehrkräften an Schulen reglementiert.

Der Verband freier Lektorinnen und Lektoren (VFLL) zog nach einem Workshop in Hamburg im Protokoll folgendes Fazit: „Gendern tut den Texten nicht weh, im Gegenteil. Am Ende soll der Text ausdrücken, was gemeint ist, und das soll beim Adressaten, bei der Adressatin auch ankommen.“ 

Ähnliches formuliert Kathrin Kunkel-Razum, seit 2016 Chefredakteurin der Duden-Redaktion, in einem Interview von „Zeit Online“ am 21. Januar: „Wir fordern ja von niemandem ein konsequentes Gendern mit Sternchen oder irgend so etwas. Ganz viele Menschen in diesem Land, viele mit nicht männlichem Geschlecht, wollen in der Sprache abgebildet werden. Das ist ein legitimer Anspruch und er bringt neue Fragen an die Sprachgemeinschaft mit sich. Lasst uns doch gucken, wie man dem gerecht werden kann. Eine einfache Lösung haben wir aber nicht und ich glaube auch nicht, dass wir in kurzer Zeit eine haben werden.“ 

Ob Schreibende, Verlage, Medien diesem legitimen Anspruch gerecht werden wollen, entscheiden sie also selbst. Sprachregeln sind keine Gesetzestexte, und über ihre Einhaltung wacht keine Sprachpolizei. Am 26. März 1998 hat der Deutsche Bundestag die Resolution „Die Sprache gehört dem Volk“ beschlossen. Darin heißt es: „Bund und Länder können Regeln für Sprache und Rechtschreibung erlassen, diese haben aber keine Gesetzeskraft. Niemand kann zur Einhaltung einer besonderen Rechtschreibung verpflichtet werden.“

Waltraud Itschner

Afftöiben

Dat ist jo banning dösig togahn: Dat is all meist half een, dat is’n luusigen Wind, un ick mutt hier noch noch’n Dreevertelstünn früsten. „0.08 – E3720 – Gleis 3“ hett sor up den Fohrpal stahn und ganz lütt dorünner: „nur 23.V. und 20.VII. – 16.VIII.“ man dat harr ich nich sehn. Dor stünn ick nu an dat leddig‘ Gleis un puuß‘ de Backen up. Keen Minsch, keen Toch – bit Klock veer wör hier Paus’. Man got, dat Elke un Sebastian nich so fröih inne Puuch kröjpen doot; ick heff jüm anpingelt un se hebbt mi toseggt, dat se mi afhahln wüllt, bloß sünd dat bi veertig Kilometers, und da heet för mi Töiben un Früsten.

Dat Ludwigshafen een “Metropole der Vporderpfalz” is, dat kannst’ bi düssen Bahnhof in so’n Februarnacht meist nich ahn’n. Sess, sääbn, schummrige Latüchten makt den wieden leddigen Hoff vör de groten Glasdörn noch düst’rer – dor wonähm se nich henlüchten doot. De mit tonägst gnurrt und blinkert to’n Mallweern, jichtenswo jiepert wat von den Wind.

Hinnen, up de anner Siet, röögt sick wat: Dor lähnt’n Fohrrad anne Wand, un dornäb‘n, bi de Bank, dor steiht een Kerl. He ist jüst upstahn, hett dor woll säten oder leegen. He kickt na mi her, un nu geiht he los – ‘n bäten stökering – jüst up me to. Ick öög mal inne Rund: Nee, anners is hier keen. He kummt nööger un mi ward klamm. He hett een ool’n vergneurten Hoot up’n Dassel, dor strüüvt dat Hoor ünner rut, und dat geiht jüst so strüüvig wieder – as Bort – rund üm’t Gesicht umto. Sien Kledaasch: Troyer, Mürkerwest, Manchesterböx – der Farv allens wat twüschen Bruun un Gröin – un Schoh, jüst so vergneurt als de Hoot, knütte Handschen, `nähm de bloten Fingers rutkieeken doot, Beerbuddel inne Hand. He mach so bi veertig wähn – man sein Gesicht vertellt woll ehrder von sien Leven as von sein Öller.

Nu stiht he vör mi, un wi sünd alleen.

„Wartste auf besseres Wetter?“

Em fählt twee Tähn, man ick kann em gott verstahn.

„Hab’n Zug verpasst.“ 
„Und jetzt? Taxi?“ 
„Nee, ich wird‘ abgeholt. Taxi kann ich mir nicht leisten, bin Student“.

Nu weet he glicks, dat he bi mich vell ruthal’n kann.

“Kalt heute”.
“Ja , lausig.”
Na hier geht’s noch - ist ‚ne warme Ecke.“
„Ja, die Pfalz – und in der Stadt ist es sowieso noch wärmer als auf’m Land.“

Wanneer kummt nu de Fraag?

“Aber teure Gegend.”

Süh!

“Na ja, die Leute verdienen auch ganz gut hier – wenn sie Arbeit haben.“
„Ich würd mich ja gern mal aufwärmen, da untern in der Kneipe, aber so’n kleines Bier“, he wiest mit sien‘ Buddel, „unter fünf Mark ist da nix.“ 
„Das ist überall so, ich geh auch kaum in die Wirtschaft.“
„Früher war das anders, da konnten sich die Leute das eher leisten.“
„Ja, mein ich auch.“

Wat kummt he nu nich to Gang mit sien Anbaggeree?

„Früher war ich oft in der Kneipe mit meinem Vater.“

Ich nicköpp. Will he amenne doch bloß snuddeln?

„Da hat er immer ein kleines Bier und `n Korn getrunken, und ich hab ne Cola gekriegt.“

Mach wähn, dat he mi doch nich anwill. Dat lett jo so, as wenn je bloß een‘ socht hett to’n Vullquasseln. Mien Verklaamtheit daut’n bäten up, un nu stickelt mi de Neeschier:

„Du sagst, dein Vater hat immer’n Bier und’n Korn getrunekn – da bist du aber nicht vn hier, oder?“

He kickt mi an, grient, böögt sick nööger uns eggt: „Nee, ich komm‘ aus Jever – ic bün Manni, un wi künnt Platt snacken. Ick heff dat woll glieks markt, dat du ok von baben kummst“.

Dat ist jo so gediegen: Dor steihst du nachts klock half een up düssen asigen süddüütschen Bahnhoff, un de eenzige Minsch, den dat Leven um düsse Tied hier noch andümpeln lett, dat is’n Plattdüütschen. Ick vertell em, dat ick Henning heet und dat ick von de Heide bün un dat ick in Heidelberg studiern do un dat ick’n Froo heff un ok’n Hund, un Manni vertellt mi, dat he von Jever affhaut ist – dor wöör keen Utkamen – un dat een hier in Ludwigshafen de Winters uthooln kann und dat’n hier von‘t Amt lichter mal’n Fiefmark kriegen deit as in Mannheim, un he wiest mi sein Bank und sien Fohrrad und he holt mi sein‘ Buddel hen, man dat is mi to koolt för Beer, segg ick.

Jüst duukt achtern de Lichters von een Auto up un kaamt up us to.

“Süh, dat sünd dien Lüüd“, seggt Manni, „amenn‘ hebbt de’n poor Mark for’n armen Kerl?”
“Nee lat man, Manni”, ick lang na mien Portmenee un prussel mien’ lesten Teihnmarkschien rut, “de hebt sülben nix, nimm düssen mal hen”.

Manni kloppt mi up de Schullern.

Elke un Sebastian sünd dor. Ick beed Manni mien Hand un stüür up dat Auto los.

„Giff mi dien Adress, ick will di mal’n Korten schrieben!“

Ick dreih mi um: „Ja – man, ick heff nix to Schrieven“.

Manni hett. He gravt’n Kugelschrieber ut de Böxentasch‘ un ritt sein leddig Zigarrettenschachtel twei un reckt mi dat to. Ich nähm dat hen, gah na dat Auto, legg de Papp’ up’t Dack un kiek em an.

“Pass up, Manni”, segg ick, „ick schriev di mal mien Adress in Norddüütschland up – “keen weet, wanneer du to’n Schrieven kummst, un dor krieg ick dien Korten bestimmt”.

Ick geev Manni sieh Schrievtüück trügg, stieg achtern in dat Auto in un wink em nochmal to. Elke föhrt los, un Sebstian seggt: „Na, hast Gesellschaft gefunden?“
„Ja“.

Manni un de Bahnhof blievt achterut, dat Radio dudelt lies un dat is hier mollig warm.

Henning Wiechers

Erschienen in: Bernd Jörg Diebner und Rudolf Lehr (Hrsg.), Deutsche Mundarten an der Wende, Verlag Rhein-Neckar-Zeitung Heidelberg, 1995.

För twe

Wulken un Wind treckt dör de Tiet,
´keen weet wolang se Regen daaldrievt up dat Land,
´keen weet wolang?
Reg’nt ok up dat Woord,
man dor is keen Schuur.
Leeven kummt ut jedeen Dag,
de dien Ja weer spöört.

Lust up Leven un den Moot för joo,
blang den Heeven ok de Eer.
Troon för den Patt joo upeenannerto -
Sünn mang Regenweer.

Kennt joo all lang, man lang nich noog,
´keen weet, wo goot ji trechtkamt mit de anner Leev,
´keen weet wol goot?
Free in Leev för di,
as de anner – free!
Künnt‘ nich fasthooln as dat wöör,
Güng bloß twei dorbi.

Lust up Leven un den Moot för joo,
blang den Heeven ok de Eer.
Troon för den Patt joo upeenannerto -
Sünn mang Regenweer.

Text und Musik: Henning Wiechers

Erschienen in: Stünn um Stünn, Festschrift für Bernd Jörg Diebner to sienen 60 Geburtsdag, den 8. Mai 1999, Verlag „Die Kennung“, Beiheft 9.